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Eine Geschichte des Abaton-Kinos

Von einer Autogarage zur Hamburger Kulturinstitution mit Strahlkraft über die Hansestadt hinaus: Das Abaton war schon immer anders als die anderen Kinos und hat sich im Laufe der Zeit mehrmals neu erfunden.
Von Michael Töteberg

Frank Zappa war da, Rainer Werner Fassbinder, auch Pedro Almodóvar. Otto Sander, Zazie de Paris, Vanessa Redgrave. Die deutschen Filmemacher begleitet das Abaton seit deren Anfängen: Tom Tykwer, Caroline Link, Dani Levy und natürlich Fatih Akin. Die internationale Filmwelt ist im Abaton zu Gast: Atom Egoyan zeigte Das süße Jenseits und Takashi Kitano Hana Bi. Nick Park stellte seinen Knetfilm Wallace and Gromit vor, und als Sam Mendes zum Gespräch über American Beauty auftrat, regnete es Rosen von der Decke des Abaton. Doch in diesem Kino geht es nicht um Glamour, hier kommen die Regisseure und Schauspieler nicht, um sich zu zeigen und Autogramme zu geben, sondern diskutieren im Anschluss an den Film mit dem Publikum.

Es gibt viele Kinos in der Stadt, aber nur ein Abaton. Manche Kinos sind älter, mögen komfortabler oder schöner sein, doch das Abaton ist einzigartig. Denn es beschränkt sich nicht darauf, auch andernorts gezeigte Filme vorzuführen, sondern es präsentiert Entdeckungen und lädt interessante Gäste ein. Wohl nirgendwo gibt es eine solche Programmvielfalt: 300 bis 400 verschiedene Filme im Jahr, mehr als 200 Begleitveranstaltungen. Für sein Programm bekam das Abaton im Laufe der Jahre mehr als 70 deutsche und europäische Preise und wurde für das beste Kinoprogramm Deutschlands ausgezeichnet.

Vor 50 Jahren machte Werner Grassmann, unterstützt von dem Rechtsanwalt Winfried Fedder, aus einer ehemaligen Autogarage ein Kino, wie es bisher noch keins gab in Hamburg. Esplanade, MGM-Waterloo, Streit’s, traditionsreiche Filmtheater, die diesen Namen verdienten, boten anspruchsvolle Kost für ein bildungsbürgerliches Publikum. Ein weiteres Filmkunst-Kino hatte Grassmann jedoch nicht im Sinn. Er verkündete, im Abaton würden Filme gezeigt, die „im normalen Kino nicht laufen können“. Nun habe Hamburg ein Kino „nur für progressive Leute“, erfuhr man im Filmecho, dem offiziellen Organ des Hauptverbands Deutscher Filmtheater, ein Workshop Kino für „Hausfrauen, Arbeiter, Angestellte und natürlich Studenten“. Was die kommerziellen Kinobetreiber davon hielten, kann man sich denken.

Anday Warhol blieb unterwegs irgendwo hängen

Eröffnet wurde das Abaton am 29. Oktober 1970 mit Santo Domingo, einer Kleist-Verfilmung von Hans Jürgen Syberberg, und Monterey Pop des US-Dokumentaristen D.A. Pennebaker. Die Mischung war programmatisch: Neuer deutscher Film und internationaler Underground. Syberberg war gekommen, auch die Stars der Avantgarde aus den USA, Kenneth Anger und Jonas Mekas (nur der ebenfalls eingeladene Andy Warhol blieb unterwegs irgendwo hängen).

Anfangs wurde nonstop gespielt, täglich ab 14.30 Uhr durchgehend bis 24 Uhr, Einheitspreis DM 3,-. Zum Hauptfilm gab es 60 bis 70 Minuten Kurzfilme, doch waren dies nicht die üblichen Kultur- oder Zeichentrickfilme. Grassmann war eng verbunden mit der Hamburger Film Coop, einer Gruppe von Experimentalfilmern. „Das Klima dieser Stadt sorgt dafür, dass schon aus dem morgendlichen Aufstehen ein widernatürlicher Willensakt wird“, meinte Helmut Herbst. „Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass alle diese Eigenbrötler ihre Filme gegen den kommerziellen Strich bürsten und nicht auf ihm gehen.“ Grassmann hatte viele Coop-Filme produziert, und nun gab es ein Kino, wo sie auch außerhalb von Festivals gezeigt wurden. Der Kinonormalkonsument konnte nur den Kopf schütteln: Die Kurzfilme widersprachen allen Sehgewohnheiten, es wurden nicht einmal ansatzweise Geschichten erzählt. Aber frech, witzig, einfallsreich und provokativ, kurz: unterhaltsam waren sie allemal.

Die ersten Jahrzehnte war Pioniergeist nötig, um ein solches Kino mit so einem Programm auf die Beine zu stellen. Grassmann war besonders findig im Aufspüren von Kopien, die irgendwo bei Sammlern lagerten. Oder bei Verleihern, die einfach nicht an einen Erfolg im deutschen Kino glauben wollten. Damals gab es kein Internet und keine IMDb, es war nicht wie heute alles verfügbar (und hatte man es gefunden, mussten die schweren 35mm-Filmrollen erst einmal herangeschafft werden). Von den Marx-Brothers hatten nur eingefleischte Fans etwas gehört. Harold und Maude wurde zum Programmkino-Hit. So mancher Kultfilm wurde dies erst dank Abaton. Daneben veranstaltete Grassmann Filmreihen und Retrospektiven; ein Kommunales Kino gab es damals noch nicht.

Fatih Akin war gut ein dutzendmal zu Gast

„The Abaton was 1st of its kind in West Germany: cinema screens mixed bag to college crowd“, bemerkte nach ein paar Jahren sogar Hollywood. Das Branchenjournal Variety beschrieb den Programmmix: „Three or four pics daily, including firstrun releases, art pics, offbeats items, classics, retros and even softcore porno for the late show." Nun ja, das letztere Segment, die legendäre Reihe "Erotik im Untergrund" – die nicht immer so soft war und zu deren regelmäßigen Besuchern ein aufgeschlossener Staatsanwalt gehörte – ist längst Geschichte.

Als aus Filmemachern arrivierte Regisseure geworden waren – Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Wim Wenders, Alexander Kluge, auch sie waren im Abaton –, blieben sie dem Abaton treu. Das Kino am Allende-Platz ist die Heimatbühne der jung gebliebenen Außenseiter des deutschen Kinos, Rosa von Praunheim und Monika Treut.

Anfang der neunziger Jahre begann Grassmann das Kinoprogramm im Team zu gestalten. Erst kam Arno Meyer zu Küningdorf, dann Chris Koppelmeier, Jan Holthusen und Hella Reuters. Am längsten, nämlich gut 25 Jahre, hat aber Matthias Elwardt das Programm gestaltet. Er führte die Tradition der Abaton-Filmgespräche fort, pflegte die Kontakte zu den jungen Kreativen. Fatih Akin war gut ein Dutzendmal zu Gast, Christian Petzold ebenso. Unvergessliche Abende im Abaton: Mario Adorf kam zu Altersglühen – Speed Dating für Senioren und erzählte, wie er vor 50 Jahren in Italo-Western den Bösewicht gegeben hat. Oder, noch gar nicht lange her: Nach Gundermann packte Andreas Dresen die E-Gitarre aus, Alexander Scheer griff zum Mikro, und dann rockten sie das Abaton.

Zum Filmgespräch wurden nicht bloß Regisseure und Schauspieler eingeladen, sondern Drehbuchautoren, Produzenten; auch Kostümbildner kamen zu Wort. Kameramann Thomas Mauch erzählte von den Dreharbeiten zu Werner Herzogs Fitzcarraldo, Cutter Andrew Bird, wie im Schneideraum Fatih Akins Auf der anderen Seite ganz neu entstand. Matineen, Kinderkino, Film-Reihen, oft in Kooperation mit Museen, Vereinen, das Abaton suchte immer den Kontakt und ist bestens vernetzt. Jan Philipp Reemtsma eröffnete eine Reihe mit Kleist-Filmen, die Theologin Dorothee Sölle führte in die Reihe "Natur: Faszination und Schrecken" ein. Jeffrey Eugenides, der die literarische Vorlage zu Sofia Coppolas Film The Virgin Suicides lieferte, las im Abaton aus seinem Roman "Middlesex". Zur Feier des Bloomsday, einer Idee, die Elwardt aus Irland mitgebracht hatte, kam Harry Rowohlt mit Texten von James Joyce.

Die Randalierer sind preisbewusst. Sie kauften 5er Karten

„Abend mit Gästen“, das kann auch brenzlig werden. Im September 1979 traf ein Sonderzug aus München am Bahnhof Dammtor ein. Film-Prominenz entstieg dem Intercity: unter anderem Margarethe von Trotta, Alexander Kluge, Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder, kurz alles, was im deutschen Autorenfilm Rang und Namen hat. Die bayerischen Politiker hatten sie vergrault, und so veranstalten sie ihr Filmfest in Hamburg. Im Abaton zeigte Fassbinder seinen Film Die dritte Generation. Das Hamburger Abendblatt bereitete seine Leser so vor: „Unbekümmert um Sympathien und Antipathien drischt er auf alle ein. Auf die Rechten wie auf die Linken.“ Fassbinders These: Die erste Generation war die APO 1968, die zweite die RAF; die dritte Generation jedoch betreibt Terror als Selbstzweck und dient, ohne es zu ahnen, Kapital und Staatsapparat. Bei der Vorstellung dieser grimmigen Farce stürmte eine nicht identifizierte Gruppe den Vorführraum und versuchte, die Kopie an sich zu bringen. Auf der anschließenden Pressekonferenz fühlte sich Fassbinder nur bestätigt. Seinen Kommentar hatte er schon vorher abgegeben: „Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme. RWF“, stand auf dem Filmplakat.

20 Jahre später warfen die Störer Luftschlangen und versprühten Konfetti und Parfüm, erreichten aber dasselbe: Die Vorführung von Campus musste abgebrochen werden. Der Roman des Hamburger Professors Dietrich Schwanitz war umstritten, Sönke Wortmanns Verfilmung, am Ort des Geschehens gedreht, barg Zündstoff. Das Abaton-Personal hatte Mühe, die Gruppe aus dem Saal zu bekommen, um die Vorführung fortsetzen zu können. Der Romanautor war als Gast in der nächsten Vorstellung angekündigt, und der Vorführer glaubte, Vorrichtungen treffen zu müssen: „Professor Schwanitz wird erst nach der Vorstellung kommen und zwei kräftige Mitarbeiter werden zusätzlich im Saal sitzen. Außerdem wird die Polizei in Alarmbereitschaft sein.“ Unter dem Memo setzte der Vorführer noch ein P.S.: „Die Randalierer sind preisbewusst. Sie kauften 5er Karten.“

Das Abaton lebt. Ein Ende ist nicht in Sicht

Die Kinolandschaft ist ständig radikalen Umbrüchen unterworfen. Mit dem Fernsehen setzte das Kinosterben ein, es folgte die Ära der sogenannten Schachtelkinos, trostlosen Abspielstätten, dann der Multiplexboom, den so manches kleines Kino nicht überlebte, bis dann auch Multiplexe aufgeben mussten. Streit’s und Grindel sind Vergangenheit, der UFA-Palast wurde abgerissen. So manches (an sich gut gehende) Innenstadtkino musste schließen, weil die Miete drastisch erhöht wurde: Mit Klamotten lässt sich halt mehr verdienen. 2006 kaufte Grassmann von der Stadt – die dabei war, ihr Tafelsilber zu verscherbeln – kurz entschlossen das Gebäude. Das Kino ist inzwischen im Familienbesitz, Garant dafür, dass kein Spekulant das Kino dicht machen kann.

Während ringsum das Kino von einer Krise in die nächste geriet, blieb das Abaton das Abaton. Es ist eine Hamburger Institution, als solche Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden und auch schon in die Literatur ("Underground", ein Roman von Daniel Dubbe) eingegangen. Aber es ist eine lebendige Institution, nicht nur weil es kontinuierlich auf neuesten technischen Standard gebracht wird. Seit 2019 führen die Söhne des Abaton-Gründers, Felix und Philip Grassmann, das Kino als Familienbetrieb. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, angesichts des Strukturwandels und der Konkurrenz durch Streamingdienste das Programmkino der Zukunft neu zu denken. Denn auch das Abaton muss sich ständig neu erfinden, jedoch darf es dabei weder Identität noch seine Individualität einbüßen.

„Hamburger Programmkino Abaton: Ende im Jahr 2020“, orakelte Der Spiegel im Juli 1983 und traute sich einen weiten Blick in die Zukunft zu. Da hat sich das Nachrichtenmagazin einmal mehr geirrt: Das Abaton lebt, ein Ende ist nicht in Sicht.

Michael Töteberg ist Autor und Publizist.
Er war langjähriger Leiter der Medienagentur im Rowohlt Verlag.

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